Als Katja mir vor einigen Tagen mitteilte, dass sie für ungefähr fünf Wochen ausfallen würde und wir nicht wie geplant zusammen zu den Kanarischen Inseln segeln könnten, gingen mir in den nächsten Tagen danach allerhand Gedanken durch den Kopf. Wir wollten unbedingt am 28. November auf Gran Canaria sein, weil unser lieber Freund Frank von der SY CAYLUNA seinen Geburtstag dort feiern möchte. Zu diesem Fest hatte er alle unsere Segelfreunde eingeladen, die auch ihr Kommen zugesagt haben. Da wollten wir unbedingt dabei sein, denn zu schön war die Zeit mit ihnen gemeinsam in Spanien und Portugal gewesen. Danach würden die anderen alle Richtung Karibik aufbrechen, während wir erst 2015 über den Atlantik gegen würden.
So beschlossen wir gemeinsam am Telefon, das es weitergehen sollte in Richtung Kanaren. Jetzt stellte sich nur noch die Frage wann und wie. Nach dem Studium von verschiedenen Wettervorhersagediensten ergab sich ein guter Abfahrtstermin am Dienstag, den 4. November. Dann würde ich am Donnerstag gegen Mittag ankommen. Leider war damit die Zeitspanne viel zu kurz, um einen weiteren Mitsegler zu finden. Unserem Freund Reiner aus Allershausen/Bayern hatte jemand sehr zu meinem Bedauern nur wenige Minuten vor der Buchung, den letzten Flug vor der Nase weggeschnappt. Also war klar, dass ich wohl allein segeln musste.
Irgendwie wollte ich dann auch allein fahren. Die Herausforderung erschien mir einfach zu reizvoll und mit jedem weiteren Tag, an dem ich mich auf das Thema seelisch einstellen konnte, wuchs auch die Zuversicht in mir. Nicht das Segeln bereitete mir Sorgen, sondern eher das Handling des großen Bootes beim Ablegen und vor allem beim Anlegen mit Mooring-Leinen. Dazu kommt natürlich das Thema Sicherheit auf See. Für die ersten zwei Tage waren permanent 5-6 Windstärken mit Böen von 7 angesagt, was schon eine ordentliche Ansage ist. Auch der Umgang mit dem möglichen Schlafmangel und Kampf mit der Müdigkeit beschäftigten meine Gedanken. Immerhin führten die 320 Seemeilen über die offene See und ohne einen möglichen Hafen, wenn etwas schiefgehen sollte. Mein lieber Freund Uwe hat mir mit seinem Erfahrungsschatz aber sehr weitergeholfen. Er segelt schon seit Jahren seine 43 Fuß Yacht allein auf der Ostsee. Er sagte mir, dass es völlig normal sei, wenn man schon Tage vor dem Ablegen nervös sei und dass es jedem anderen genauso gehe. Danke Uwe 🙂
Für den Dienstag hatte ich meinen Wecker auf sechs Uhr gestellt. An diesem Tag sollte für mich ein neues Kapitel zum Thema Segeln beginnen. Vor lauter Aufregung war ich aber schon um halb fünf auf den Beinen und was ich auch immer versuchte, es gelang mir einfach nicht, meinen Puls zu senken. Das Vorbereiten des Schiffes für die Abfahrt verlief schon fast routiniert und unauffällig: Seeventile und Luken schließen, Karten und Systeme prüfen, alles wegräumen, was umfallen könnte, Leinen und Schoten vorbereiten und natürlich eine Kanne Tee kochen. Dann war soweit alles klar zum Auslaufen. Meine Aufgabe war es jetzt, unsere SUMMER sicher und „einhand“ (allein) in 2 ½ Tagen von Madeira nach Gran Canaria in die Marina „Pasito Blanco“ zu bringen!
Pünktlich um 06:42 begann sich der Horizont zu erhellen. Die Sonne ging langsam auf und der Moment war gekommen, die Maschine zu starten. Der Wind kam gerade günstig von hinten und hatte sich für einige Minuten etwas beruhigt. Alles Weitere ging dann wie geplant fast von allein. Eindampfen in die Vorspring, Vorleinen los, Achterspring los, Maschine rückwärts, Vorspring dicht holen und dann los. Wir haben noch nicht einmal den Nachbarlieger berührt, als die SUMMER sich aus der Box schob. Die erste Hürde war also genommen 🙂
Kurz nach dem Passieren der Hafenausfahrt stellte ich den Autopiloten auf Kurs 177 Grad ein. Danach wurden die Fender eingeholt und alle Festmacher verstaut. Nach gut zwei Stunden waren wir aus der Windabdeckung Madeiras heraus und segelten mit guten 6 Knoten Geschwindigkeit nach Süden. Alles lief bestens. Gegen vier Uhr wurde ich etwas müde und legte mich in den Salon zum Dösen. Ich hatte mir zur Sicherheit meinen „Timer“ auf 20 Minuten gestellt und musste aufstehen, um ihn wieder auszuschalten. Nach dem Aufstehen ein Rundblick in die Ferne und dann wieder hinlegen. Das haute gut hin. Nach einiger Zeit kehrte dann auch die innere Ruhe ein und ich konnte tatsächlich etwas schlafen. Der Wind frischte hin und wieder relativ stark auf. Zeitweise zeigte der Windmesser Böen von 27 Knoten an, was aber kein Problem für unsere SUMMER war. Vor Einbruch der Dunkelheit hatte ich die Segelfläche für die Nacht deutlich reduziert. Trotzdem machten wir gute Fahrt um die sieben Knoten.
Was mich doch sehr wunderte, war die Tatsache, dass nicht ein einziges Schiff auf dem Radar oder AIS zu sehen war. Am Mittwoch passierten wir gegen Mittag die Insel „Selvagem“ und ließen sie an Steuerbord liegen. Hier leben zurzeit nur zwei Forscher und erforschen die Vogelwelt, ansonsten ist die Insel aber unbewohnt.
Ich hatte schon fast ein schlechtes Gewissen, dass ich mit ausgebrachter Schleppangel an der Insel vorbeifuhr. Da passierte dann auch schon das erste „Malleur“. Wegen der hohen Wellen und Kreuzseen fuhren wir einen ordentlichen Schlingerkurs. Dabei hatte sich dann die Angelsehne im Propeller des Windgenerators verfangen. Da es viel zu gefährlich war, auf die Rehling zu steigen, um das Chaos zu entwirren, schnitt ich die Leine ab. Den Köder hatte ich natürlich vorher von Hand eingeholt. Meine Sorge war, dass genau in diesem Moment ein Fisch anbeißen könnte und den Generator abreißen würde. Der Köder war für einen Thunfisch ausgelegt und die können ganz schön groß werden. Das Problem war, dass unser Stromlieferant für die Batterien jetzt außer Betrieb war. Autopilot, Navigation, Radar, Funk und Kühlschrank verbrauchen eine ganze Menge Energie und somit musste ich zweimal am Tag den Generator starten, um die Batterien wieder aufzufüllen.
Das nächste Problem ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Beim Routine-Check der Bilge sah ich mit Grausen, dass sich eine Menge Wasser im Motorraum und ebenfalls im Mittelschiff befand. Jetzt bekam ich aber schon etwas Angst. Gott sei Dank haben wir viele Lenzpumpen an Bord, die dann auch sogleich ihre Arbeit aufnahmen. Den Rest musste ich dann manuell abpumpen. Das waren ungefähr noch einmal weitere 70 Liter und mir haben schon die Arme wehgetan. Sofort ging ich auf Ursachenforschung. Gott sei Dank, war es aber kein Verschluss oder Ähnliches. Durch die hohen Wellen von achtern auf das Heck der SUMMER war sehr viel Seewasser durch die Abläufe der Backskisten in die Backskisten hineingelaufen. Von dort aus laufen die Schläuche vom Generator durch ein Loch in den Innenbereich des Schiffes hinein. Leider wurden diese bei der Installation der Anlage nicht richtig bzw. dauerhaft abgedichtet. Das Thema stand jetzt ganz oben auf meiner „To Do“-Liste. Nach dem Schreck war ich echt fertig mit den Nerven. Da kommen auf einmal ganz komische Gedanken in einem hoch.
Die letzte Nacht verlief unproblematisch und es war genug Zeit sich auszuruhen. Unsere SUMMER ist ein wirklich gutes Schiff und vermittelt sehr viel Sicherheit.
Pünktlich bis auf die Minute legte ich die SUMMER dann am nächsten Tag an dem „Welcome“ Ponton der Marina an. Der Wind hatte etwas nachgelassen und ich war gut vorbereitet. Nach dem Einklarieren habe ich die Nummer des Liegeplatzes bekommen. Bevor es zum letzten Manöver des Tages kommen sollte, guckte ich mir den Platz genau an. Zur Unterstützung hat mir die Leitung noch zwei Marineros mit aufs Boot geschickt. Zu dritt war das Einparken kein großes Problem mehr und klappte hervorragend. Niemand wollte so recht glauben, dass ich allein unterwegs gewesen war. Das gefiel mir natürlich sehr 🙂
Fix und fertig, aber sehr zufrieden mit unserer Leistung, schloss ich die SUMMER noch an die Landsteckdose an und verpasste ihr wie üblich eine gründliche Wäsche, um das Salz zu entfernen. Wie heißt es doch immer so schön: „Erst das Pferd und dann der Reiter“
Der Rest des Abends lief wie folgt: SIMS an Katja, Duschen, Essen, Schlafen. Danke SUMMER! Was für eine Erfahrung!